Laut Vilèm Flusser machen photographische Apparate dem Photographen klare Vorgaben indem sie ihm immer nur das technisch jeweils Mögliche zu photographieren erlauben. Auch anderes technisches Gerät hat seinen gestalterischen Eigensinn. Michael Maria Müller hat seit 1989 die sich in graphischen Darstellungen manifestierenden Eigenentscheidungen von Computern, Speicherprogrammen und Druckern gesammelt. Hier sind Aufträge zum Drucken von Bildern, die Vorlagen und die Ausführung, die kreativen Antworten der Apparate. Ohne Frage sind auch dies vielschichtige Bildkonstrukte, deren Ästhetik nicht selten an vertraute Gestaltungsstrategien erinnert von Anderen, die keine Maschinen und Programme sind.
Nach dem weltweiten Erfolg von Kim Jong-Un looking at things, schenkt Jonathan Monk der Welt Anna holding products. In einer beidseitig bedruckten, großformatigen Graphik hält eine unbekleidete junge, blonde Frau ein Plakat, das fast ihrer Körpergröße entspricht. Das Plakat, das sie hält, ist eine von Richard Hamilton gestaltete Plakat/Katalog-Publikation zu seiner Ausstellung Products, 2003, bei Gagosian Gallery. Auf der zweiten Seite der Graphik ist die Vorderseite der Publikation zu sehen, ein Schwarz-Weiß-Photo das Hamilton zeigt, der seinen übergroßen orange-blauen Slip It To Me Button vor seinem Körper hält. Beiden Bildseiten gemeinsam sind ein abgewetzer, ehemals weiß gestrichener Holzfußboden, Annas Füße und Hände.
Hamilton hat sich nach eigener Aussage für die Entwicklung von Computern und Digitaldruckverfahren interessiert und ihre Möglichkeiten für sein Arbeiten erprobt. In seinem Spätwerk erlaubte ihm diese Technik die Gestaltung und Realisierung zunehmend komplexerer Bildräume, die, neben Designermöbeln und Bildern, meist von sehr gut und vor allem völlig makellos aussehenden blonden Damen bevölkert werden. Doch nicht nur diese Damen sind ohne Makel, auch die Räum sind staub- und keimfrei, perfekt durchdachte, virtuelle Bildwelten. Monk reagiert mit Anna auf Hamiltons Vorliebe für nackte Bildheldinnen, läßt der Dame aber ihre Hautunreinheiten ebenso, wie dem Boden seine Gebrauchsspuren und seine Verschmutzungen. Es ist dies eine künstlerische Ehrerweisung, die mit einfacher Geste einen klugen ironischen Kommentar zum Werk des Vorbildes setzt.
Leni und Herbert Sonnenfeld waren deutsche Photojournalisten, die sich 1939 zur Emigration in die USA gezwungen sahen. Ihr Werk stellt eine bedeutende Dokumentation jüdischen Lebens in Europa, den USA, Israel und Palestina dar. Das Archiv der Photographen befindet sich im Beit Hatfutsot Museum in Tel-Aviv. In ihrer Serie, The Missing Negatives of the Sonnenfeld Collection, greift Yael Batana auf Motive von Bildern der Sonnenfelds zurück, die zwischen 1933 – 1948 im damaligen Palestina und heutigen Israel entstanden. Die schwarz weiß Aufnahmen zeigen junge Männer und Frauen, die als Bauern, Arbeiter und Soldaten auftreten. Hier werden gutaussehende Menschen mit Posen in Szene gesetzt, die ihre Gesundheit, Jugend und Kraft betonen soll, mit dem Ziel Glück, Entschiedenheit und Tatkraft zu demonstrieren. Das solchermaßen inszenierte Pathos dient einer Heroisierung der von den Bildfiguren vorgestellten Rollen und unterstreicht deren gesellschaftliche Bedeutung. Yael Batana nimmt diese Bilder aus der Zeit der Gründung des Staates Israel zur Vorlage und stellt sie nach mit jungen Frauen und Männern, die im heutigen Israel leben, jedoch arabischer Herkunft sind. In der Anschauung sind die Bilder kaum von ihren Vorlagen zu unterscheiden. Allein, dass an die Wahrnehmung herangetragene Wissen, um die Herkunft der Dargestellten, verändert scheinbar alles und entwirft mit kritisch, ironischem Kunstgriff eine Aussage, die als Gegenentwurf zu den aktuellen politischen und kulturellen Verhältnissen, als utopisch anmutende Vision gelten kann.
Diese „Neubesetzung“ von Bildern gelingt in diesem Fall besonders überzeugend, weil die Vorlagen zu einem Bildtopos gehören, der von einer erstaunlichen Offenheit seiner Instrumentalisierungsmöglichkeiten geprägt wird. Das heroische Rollenbild erfreut sich innerhalb der Photographie der 20er – 50er Jahre einer erstaunlichen Beliebtheit und internationaler Verbreitung, die auch mit einander vollkommen entgegen gesetzten politischen Vorstellungen kompatibel gewesen zu sein scheint. Es ist das Paradox eines politischen Bildes, das in seiner Konzeption, Anlage und formalen Gestaltung vollkommen offen für die unterschiedlichsten politischen Inhalte scheint.
You must be logged in to post a comment.